Es war einmal… XBM
Wir schreiben das Jahr 2002, es ist noch nicht allzu lange her, da sind dem Frankfurter Pro Verlag sein Nintendo-Magazin »Nintendo Fun Vision« und der Handheld-Titel »Fun Color« abgesoffen. Auch das einzig verbliebende Schwesterheft »Mausklick« hat seine besten Tage bereits vor langer Zeit gesehen. Was liegt also näher, wenn man ohne Kohle wieder zu einem Big-Player aufzusteigen möchte, als sich an Lizenzen aus dem Vereinigten Königreich zu bedienen? Pate stehen durfte für diesen Versuch das Xbox-Heft »XBM« von Paragon Publishing.
Zwei Tage vor dem Deutschlandstart der Xbox kommt auch die deutsche »XBM« am 12.03.2002 an den Kiosk. Angelegt vorerst als Sonderheft mit 116 Seiten zum Preis von € 5,90. Die Optik ist, um es vorsichtig auszudrücken, sehr englisch. Der Text wird von der Fülle der Layoutelemente und der Bildermasse förmlich erdrückt. Wirklich tragisch ist das allerdings nicht, die Tests sind weder sonderlich informativ noch kommt viel Freude beim Lesen auf.
Endwertungen gibt es gleich zwei. Am Ende des Textes ein subjektives „Score“, im Wertungskasten eine Gesamtwertung, die sich aus dem Durchschnitt der Einzelwertungen in Grafik, Sound, Gameplay und Dauerspaß zusammensetzt.
Kleines Detail am Rande: Nach 98 Seiten ist dem Heft das gute Papier ausgegangen, ab Seite 99 wird’s rau statt glänzend und schwarz wird grau.
Gut neun Monate soll es nun dauern, bis das neue Baby das regelmäßige Licht der Welt erblickt. Nun in Neongrün erstrahlt „Das Xbox-Mag im XXL-Format“ vierteljährlich am Kiosk, der Preis ist bei € 5,90 geblieben. Dafür gibt’s nun nur noch 100 Seiten. Das englische Mutterheft hat in der Zwischenzeit sein Layout überarbeitet und somit sieht auch die deutsche Ausgabe anders aus. Bunt isses immer noch, gigantische Screenshots gibt es weiterhin, aber immerhin wirkt das Heft nicht mehr ganz so schrecklich überladen. Die Score-Wertung am Ende des Fließtextes ist verschwunden und die Gesamtwertung ist kein Durchschnitt der Einzelwertungen mit Kommastelle mehr, sondern wird davon unabhängig im 10er System vergeben.
Die Erscheinungsfrequenz sollte bei »XBM« auch weiter ein planloses Verwirrspiel bleiben. Halten wir fest:
Ausgabe 1: Neun Monate
Ausgabe 2: Drei Monate
In Ausgabe drei wird ein Leserbrief abgedruckt, dass die Erscheinungsweise viel zu selten sei. Richtig entgegnet die Redaktion, deswegen habe man nun auch auf zwei Monate verkürzt – Heft #3 ist die April/Mai-Ausgabe. Nun dürft ihr raten, wie lange wohl Ausgabe vier am Kiosk liegen darf, genau: Es sind wieder drei Monate.
Immerhin, im vierten Heft befindet sich ein Feature, das ich immer wieder gerne lese – „50 Dinge, die wir hassen“. Die Redaktion klagt Spieleentwickler wegen fünfzigfacher Erfüllung des Tatbestandes „Dummheit, Unoriginalität und Langeweile“ an.
Ein paar Beispiele gefällig? „Hier kam noch keiner durch…“ – Unfaire Passagen bei Splinter Cell, Hitman 2 und Blinx. „Schalter, Schalter an der Wand“ – Ätzende Schalterätsel bei Turok und Buffy. Zu langsam gewesen? Dann lauft noch mal die 100 Meter zurück und probiert es erneut durch die Tür zu kommen. „Reine Kopfsache“ – Gegner bei Splinter Cell, die nach Kopfschüssen böse werden. Unzerstörbares Holz in V-Rally 3; Checkpoints nur für menschliche Spieler bei Arcaderacern gültig. Speicherpunkte: „Sind Sie sicher, dass Sie speichern wollen?“, „Wirklich?“ und viele andere mehr. Für solche Späße sind die € 5,90 dann auch mal wirklich gerne investiert.
Mittlerweile sind haben wir schon mehr als die Hälfte des Jahres 2003 hinter uns gebracht und mit »Xbox Games« ist für € 3,50 ein 124seitiges Xbox-Heft auf den Markt gekommen, allerdings zweimonatlich. Damit gibt es keinen wirklichen Anlass mehr »XBM« zu kaufen. Bei Pro Verlag sieht man das naturgemäß anders und so kommt »XBM« ab September monatlich. Der Preis geht allerdings nur auf € 4,99 runter, dafür hat man den Heftumfang auf 84 Seiten zusammengestrichen und die Klebebindung ist auch passé.
Immerhin muss man sich die wenigen Heftseiten nicht mit Werbung teilen, denn die Anzeigenverkäufer scheinen ihre Arbeit quittiert zu haben. Somit ließe es sich dann auch erklären, warum die Kohle über den Heftpreis wieder reinkommen muss.
Im Oktober muss auch das gute Papier der Schere zum Opfer fallen. Gekocht wird im November, nämlich Einheitsbrei im Feature „Es ist immer das Gleiche“. Für ein RPG benötigt man so zum Beispiel fünf Pfund extreme Höhenangst (Hauptfiguren können weder Springen noch über Äste oder Gräser laufen), 20 Kilo gestohlenes Eigentum, fünf Teenager-Helden und einen Liter „Held wider willen“. Weitere schöne Zutaten aus anderen Genres: „Die letzten ihrer Art – 1 Kilo“, „Juwelen und Münzen – 16 Packungen“, „Crashs ohne Explosionen“ [und Kratzer, anm. des Autor]. Sehr unterhaltsam und seine € 4,99 wert.
Vorbei ist es im Dezember nicht nur mit der Leuchtkraft des Grüntons auf dem Cover, sondern auch mit der monatlichen Erscheinungsweise. »XBM« kommt von nun an wieder zweimonatlich und kostet, welch Überraschung, wieder € 5,90. Ebenfalls eine „große“ Überraschung, der Umfang geht natürlich nicht wieder auf 100 Seiten hoch.
Mit der Ausgabe vom Februar/März 2004 ist im Prinzip die komplette Redaktion verschüttgegangen. Sie hat sich wohl mehr oder weniger im Streit aus dem Staub gemacht, um mit Raptor Publishing einen eigenen Verlag hochzuziehen. Den gibt es im Gegensatz zum Pro Verlag auch heute noch und von der Strategie mit den britischen Lizenzheftchen ist man auch abgerückt.
Besonders spaßig ist auch die Leserumfrage im selben Heft. Diese wird nämlich eine Ausgabe später als Begründung herangezogen, warum die April/Mai-Nummer völlig anders aussieht (Gebe dem Layout eine Note von 1 bis 6). Schon blöd, wenn das englische Mutterheft mal wieder das Layout ändert und man dem deutschen Leser nur eine Übersetzung präsentieren kann – da bleibt kein Platz für große künstlerische Eigenleistungen.
Das April/Mai-Heft ist auch gleichzeitig die letzte Ausgabe und besteht redaktionstechnisch nur noch aus dem neuen Chefredakteur Oliver Gubba und der Redakteurin Gesa Schäfer. Die Abschiedsworte lauten „Die nächste Ausgabe erscheint am 28. Mai“.
Ein wenig schade ist’s am Ende doch ums Heft, schließlich werden keine unterhaltsamen Features mehr kommen. Aber mal ehrlich, der Verlag kann doch nicht ernsthaft geglaubt haben, für € 5,90 würde jemand ein 84seitiges Xbox-Heft kaufen. Inoffiziellen Angaben zufolge waren es keine 5.000 Käufer mehr zum Schluss.
Wen’s interessiert: Chefredakteur Oliver Gubba hat im November 2004 sich mit dem „Wichtel Verlag“ selbstständig gemacht und versucht die übersetzten Digicam-Heftchen des Pro Verlags weiterzuführen. Erfolg hatte er allerdings keinen, der Verlag hat es nur etwa ein 3/4 Jahr gemacht.
Daten und Fakten:
Erstausgabe: 01/2002 (12.03.2002)
Finalausgabe: 03/2004 (26.03.2004)
Ausgaben gesamt: #10
Verlag: Pro Verlag GmbH
Segment: Xbox-Magazin
Erscheinungsweise: zweimonatlich
Copy-Preis: € 5,90
Chefredakteur: Oliver Gubba
Druckauflage: 40.000 Exemplare (Verlagsangabe)