Das Cover eines Heftes kann sehr viel über den Inhalt aussagen. Viel Text sagt zum Beispiel, dass ein Heft ein breites Themenspektrum abdeckt und dies möglichst vielen Menschen auch zugänglich machen möchte. Ein großes Artwork und wenig Text deuten darauf hin, dass man vielleicht eine andere Herangehensweise an Spiele hat oder die Zielgruppe ein wenig kleiner ist.
Ein Mensch (natürlich aus Fleisch und Blut und nicht aus Polygonen) auf dem Cover eines Spieleheftes sagt vor allen Dingen folgendes aus:
1. Vorsicht Lifestyle!
2. Finger weg!
Wie die berühmte Faust aufs Auge, treffen diese beiden Eigenschaften exakt auf Futures Dreamcast-Heft zu. Bedingt durch die Erfolge von Future Publishing UK hatte auch Future Deutschland ein, nennen wir es mal „Gesundes Selbstbewusstsein“.
Die erste Ausgabe:
Hallo da draußen!
„Was genau ist Dreamcast?
Eine Frage, zwei Antworten: zum einen die schnellste Spielkonsole, die es auf dem Markt gibt. 128bit schnell, für noch bessere Grafik, noch schnelleres Gameplay und noch größeren Spielspaß. Zum anderen die preisgünstigste Möglichkeit, im Internet zu surfen. Mit einem 33Kbit Modem braucht’s dann nur noch den Stecker in die Telefondose, und ab geht’s: eMailen, Spielstände vom Internet runterladen oder via Internet gegen Freunde spielen. Im Gegensatz zu anderen Spielkonsolen beschränkt sich die Dreamcast-Welt nicht mehr allein aufs heimische Wohnzimmer.
Aber wir sind das offizielle Magazin, also müssen wir das sagen, richtig? Falsch.
Wir sind das offizielle Magazin, aber wir machen keine Werbung. Naja, außer für uns selbst. Im Hinblick auf die Spiele können wir versprechen: Geschönt wird nicht, weggelassen auch nicht. Was uns aber die enge Zusammenarbeit mit Sega erlaubt? Euch ein Magazin zu liefern, das einen neuen Standard setzt. Wir liefern das, was Ihr braucht, um alles aus Dreamcast herauszuholen.
Dazu gehört auch die GD-Rom, die wir als einzige exklusiv in Deutschland unters Volk bringen. Die besten Spiele als Demos, direkt von Sega und den anderen Softwarehäusern. Außerdem in unserer ersten Ausgabe: Alles, was Ihr über die neue Superkonsole wissen müsst.
Willkommen in der Dreamcast-Welt.“
(Editorial 10/1999 – #1)
*uff*
Immerhin kann man nach dem Lesen des schleimigen Editorials in etwa erahnen, was da noch so auf einen zukommt.
Das Cover hat es mit der Dame und dem Joypad schon angedroht, doch was bedeutet Lifestyle in Spieleheften eigentlich?
Nun, Lifestyle in Spieleheften bedeutet nichts Anderes, als dass Menschen die herzlich wenig mit Spielen zu tun haben, in lächerlichen Posen dazu verdonnert werden mit der Konsole oder dem Controller rumzufuchteln, inhaltslose Sätze zu sagen und dabei möglichst cool wirken sollen.
Da man in der Erstausgabe schlecht Leserbriefe präsentieren kann, hat man sich kurzerhand die neue „Superkonsole“ (jedes Mal, wenn dieses Wort erwähnt wurde, klingelte wahrscheinlich irgendwo eine Verlagskasse) geschnappt und hilflose Menschen am Münchener Hauptbahnhof überfallen.
Stefanie (22) aus Dessau verrät uns zum Beispiel, dass der Dreamcastcontroller nicht nur klein und weiß ist, sondern auch noch gut in der Hand liegt und doch so wunderhübsch die Farbe ihres Anzugs hervorhebt.
Klein Alessa (12) aus Neufinsing findet die DC zwar nicht so gut wie „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“, aber immerhin ganz gut für schlechte Zeiten.
Um schnell aus der Wortspielhölle zu entschwinden schauen wir doch mal, was Christian (18) aus Ascholding so zu sagen hat. Nicht viel, er will beim Spielen schließlich nicht gestört werden, aber für ein „Viel besser als die PlayStation, und die Grafik ist echt cool.“ reicht es dennoch.
Jaja, ausgiebiges Bashing der Konkurrenzkonsolen muss schon sein.
In den ersten Ausgaben sind die Tests ganz vorne im Heft in der „JetztDa“-Rubrik. Gewertet wurde Anfang in einem Fünf-Sterne-System als Gesamtwertung, mehr gab’s nicht.
Den Schreibstil könnte man als leicht flapsig oder einfach unsachlich bezeichnen. Als Pro-Punkt von „House of the Dead 2“ wird angeführt, dass der Chefredakteur endlich seinen Frust rauslassen kann – Sternstunden des deutschen Spielejournalismus. Dass Sega häufig über den grünen Klee gelobt wird, versteht sich von selbst.
Besonders hübsch ist auch die grafische Gestaltung der Artikel. Häufig werden Artworks und Screenshots so riesig aufgeblasen, dass man jeden Pixel einzeln zählen kann. Das passende Gegenstück darf natürlich nicht fehlen, 3,5×2,0cm große Screenshots die wahlweise schwarzer oder bunter Pixelbrei sind. Hauptsache so dunkel oder so unscharf, dass sich kaum etwas erkennen lässt – da hilft auch das dicke und weiße Papier des Heftes nicht.
Konsequenterweise betrifft das Problem zu pixelig, zu dunkel, zu unscharf aber auch Bilder in normaler Größe und mit unfassbarer Disziplin zieht man diese „Bildqualität“ auch alle zehn Ausgaben durch.
Lifestyle, richtig, „Dreamcast – Das offizielle Magazin“ zu Segas Superkonsole ist ein Lifestyleheft. Was gibt es spannenderes als einen gezwungen auf witzig getrimmten Artikel über einen Zockerabend der Redaktion mit Segas Superkonsole? Der um 20Uhr beginnende Zockermarathon endet übrigens schon gegen 3Uhr 50 in der Früh in der Wortspielhölle vom Angelspiel „Get Bass“ – „Meiner ist aber größer als Deiner“.
In „KnackigFrisch“ wird der vermutlich zwölfjährigen Zielgruppe des Heftes dann erklärt, wie man mit Wodka und buntem Fruchtlikör Cocktails passend zu Sonic, Knuckles, Tails und Co. mischt
Weitere Highlights der ersten Ausgabe: Seitenweise Fotos einer Londoner Segaspielhalle, sowie eine kurze Sega-Geschichtsstunde. Dass Sega mit seinem 32X nicht sonderlich erfolgreich war, konnte selbst die Redaktion von „Dreamcast – Das offizielle Magazin“ für Segas Superkonsole nicht mehr schönreden. Aber 1998 wird ja Dreamcast vorgestellt und die Mischung aus Konsole + PC + Spielhalle wird zur ultimativen Plattform auf dem Spielemarkt, an der keiner mehr vorbeikommen kann.
Erlöst ist man danach immer noch nicht, Previews, also „BaldDa“-Spiele dürfen auch nicht fehlen. Da die Heftausstattung mit 132 Seiten bei den ersten sechs Ausgaben recht üppig ausgefallen ist, ist noch mehr Platz für „Sexy Spielzeug“ (VibrationsPack) vorhanden.
Während der geneigte Leser nun langsam um Gnade bettelt, wird er im Tippsteil „GewusstWie“ mit halbseitigen Pixelmatsch Screenshots gequält, die mit dem Text bestenfalls im Ansatz etwas zu tun haben, aber keinesfalls zur Unterstützung der Lösung dienen.
Dreamcast, Segas Superkonsole hat ein 33Kbit Modem, damit kann man im Internet surfen.
Ihr ahnt was jetzt kommt?
Genau, eine umfangreiche „WildesWeb“ Rubrik – Smileyerklärungen, Surftipps… Aber zum Glück nur in Ausgabe 1.
Auf unglaublichen vier Seiten kann man sich nun anschauen, wie ein Mann in T-Shirt und Unterhose auf einer Klobrille sitzt, wild gestikuliert, mit Armen und Controller rumfuchtelt und dabei Sega Rally 2 spielt – alles klar. Die peinliche Darbietung muss man sich glücklicherweise ebenfalls nur im ersten Heft antun.
Wer sich noch durch eine Kolumne quälen will bzw. mag, kann dies tun und hat die 132 schlimmsten Seiten seines Leserdaseins endlich hinter sich gebracht.
Der weitere Verlauf:
In Ausgabe vier wird das Heftformat ein wenig schmaler, in Ausgabe fünf führt man Wertungen für Grafik und Sound ein und wechselt vom Sternchen zum 10er System. Mit Heft sieben sinkt der Heftumfang auf 100 Seiten und man hört auf sich jeder deutschen Lesegewohnheit zu wiedersetzen und bringt die Vorschauen vor den Tests.
Mit Ausgabe neun hat man endlich begriffen, dass sich keine sau für Menschen mit Dreamcastcontrollern in den Händen auf dem Cover interessiert und es gibt ein hübsches „Ecco – The Dolphin“-Artwork. Im Editorial basht Chefredakteur Thomas Gerhardt fröhlich auf Sonys E3-Stand ein und bedauert die Qualität der noch unfertigen PS2-Spiele. Konkurrenz täte schließlich immer gut, sollte sich aber auf die Spielequalität und nicht auf die Egogröße des Firmenobersten beziehen. Bei ersterem (Spielequalität) hätte Sega America momentan die Nase vorn.
Hallo da draußen!
„Man soll ja immer dann aufhören, wenn’s am meisten Spaß macht, und das tun wir hiermit. Die Ausgabe, die Ihr in den Händen haltet, ist die letzte, die wir machen. Wir haben die beste Konsole der Welt von ihrem ersten Tag in den Windeln begleitet und sind sehr stolz darauf, dass wir dabei waren, als sie ihre ersten Schritte online gemacht hat. Nun zeigt sich, dass Dreamcast ein Begriff ist, den die meisten kennen – und das ist auch gut so. Sega ist damit ein technisches Meisterstück gelungen, dem die PS2 noch folgen muss (und wird). Wir von Future berichten natürlich auch weiter über Dreamcast. Und zwar genauso kritisch, wie bisher. SubZero (der sich endlich einen Namen leisten kann und zwar: Bronco) und viele andere begleiten unsere Konsoole jeden Monat in der Video Games. Wer sie noch nicht kennt, der sollte sofort loslaufen und sie am nächsten Kiosk kaufen. Es gibt nichts Besseres auf dem Markt. Und wir? Nun, wir haben einen Plan. Aber den verraten wir noch nicht.
Hehehe, einfach mal abwarten.“
(Editorial 08/2000 – #10)
Amen!
Und so verabschiedet sich „Dreamcast – Das offizielle Magazin“ für Segas Superkonsole von seinen Lesern.
In der Regel haben Magazineinstellungen einen faden Beigeschmack, in diesem Fall kann man jedoch einfach nur sagen: Danke, dass euer Elend nicht mal ein Jahr dauern musste.
Anmerkung:
Zitate wurden an neue Rechtschreibung angepasst.