Frontberichterstattung
Ich bin mir nicht ganz im klaren, wer alles zur Magaziniac-Leserschaft zählt. Vielleicht ist ja der ein oder andere dabei, der sie noch nicht kennt – Gamefront. Die Webseite, gamefront.de sollte so ziemlich jedem Videospieler ein Begriff sein, der mal im Internet unterwegs war, früher oder später bekommt jeder mal eine Gamefront-News zu Gesicht.
Beim Heft hingegen sieht es etwas anders aus. Die Printausgabe erscheint drei bis fünf mal im Jahr (eher drei als fünf) und ist nur in Gameshops und im Abo, nicht aber am Kiosk erhältlich. € 4,90 sind für ein 72 Seiten Schwarz-Weiß-Heft auch alles andere ein Schnäppchen. Dennoch möchte ich jedem „ich finde alle Videospielhefte der heutigen Zeit doof“-Nörgler mal eine Ausgabe ans Herz legen.
Ohne Kioskzwang muss das Cover nicht bis zum Platzen vollgestopft sein und so schaut einem eine wunderschön aufgemachte Resident Evil 4 (Wii)-Titelstory entgegen. Auf dem Cover steht zwar April, erschienen ist die Ausgabe aber erst vor wenigen Tagen. Im Gegensatz zu vielen anderen auf dem Markt, die „ihrer Zeit zwei Monate voraus“ sind, wird die GF meist nicht pünktlich fertig und das Warten aufs aktuelle Heft wird zur Zerreißprobe für die Nerven.
Character Select:
Wer die Redakteursgesichter und Steckbriefe satt hat, wird sich schon über die Teamseite freuen. Den vier Schreiberlingen wird je eine Videospielfigur zugeordnet, Fotos gibt es keine. Die kurzen Texte auf der Seite enthalten oft nette Anekdoten und heben sich wohltuend vom Standardschema ab.
Neues von der Front:
Auf einer spartanisch aufgemachten Doppelseite werden aktuelle Meldungen präsentiert. Auf Grund der dürftigen Erscheinungsweise hat man allerdings nicht lange Freude daran. Dafür ist sowieso eher die Webseite geeignet, im Heft ist die Rubrik eine nette Dreingabe, mehr nicht.
Preview:
Hier bekommt man die erste Gelegenheit sich vom Schreibstil des Heftes zu überzeugen. Die Previews sind meist sehr umfangreich und häufig durch Interviews erweitert.
„Umfangreiche Previews bekomm ich auch bei anderen Heften, warum soll ich die GF dafür lesen?“
Nun ja, wer sich länger von den typischen Kiosktiteln ernährt hat, wird zwangsläufig irgendwelche Schäden davon getragen haben. Umfangreich dürften die meisten mit 6-8 Seiten gleichsetzen, auf denen viele Bilder und wenig Text ist. Bilder gibt es bei der GF auch, allerdings wird sehr sparsam damit ungegangen, häufig muss man sich erst mal daran gewöhnen wieder so viele Infos auf einer Seite zu bekommen.
Test:
Auch ohne Kioskzwang wird leider auf das Prozentsystem gesetzt, allerdings wenigstens in seiner ganzen Bandbreite genutzt und hat keine Inflationserscheinungen nach dem Motto „Macht kaum Spaß, 70%“. Im Testteil gibt es einige Besonderheiten:
Wer Sportspiele mag, sollte um die Gamefront einen Bogen machen, die Redakteure mögen allesamt keine Sportspiele und testen auch keine. Wer hingegen RPGs mag, sowie auf Importspiele steht, ist wesentlich besser bedient. Viele Spiele werden zudem von mindestens zwei Redakteuren (durchgespielt), so dass 40h+ Kaliber wesentlich besser beurteilt werden können als anderswo.
Groß wird die Story eines Spiels nicht breitgetreten, der Part nimmt den kleinsten Teil eines Tests ein. Danach geht es mit der Beschreibung des Spielens und der Technik weiter. Wirklich interessant wird es in den extrem langen und subjektiven Meinungskästen. Nirgendwo sonst kann man sich derartig gut seine Meinung zu einem Titel bilden.
Geht’s anderen Lesern eigentlich genauso? Sobald ich das Heft habe, blättere ich es schnell mal durch und such erst mal gezielt im Testteil nach allem, was weniger als ~60% hat. Die gnadenlosen Verrisse sind einfach herrlich geschrieben und man weiß, woran man ist.
Kleine Kostprobe aus dem Fazit zu „Cake Mania DS“ gefällig? „Da kotzt Dr. Oetker: Dümmliche Backstube für Frustrierte!“
Wer auf staubtrockene und sachliche Texte steht, wird mit dem Heft keine Freundschaft schließen, jeder andere wird es für die lockere Schreibe lieben.
Rubriken:
Im Anschluss an die Tests folgen eine ganze Reihe kleiner Rubriken:
– Magazine Classics: Vorstellung alter Videospielehefte
– Arcade Express: Die Seite für Arcade-Fans
– Online Scout: Hält einem über Onlineentwicklungen auf dem Laufenden.
– Schatztruhe: Seltene Special Editions von Konsolen und Spielen finden hier ihren Platz
– Chatterbox: Interessante Zitate von damals. Was trat ein, welche Aussage wurde zur Luftnummer?
– Kult von gestern: Alte Spieleklassiker
– Ich lebe in: Das Leben in verschiedenen Spielen
– Elenors Shop: Gadgets én masse
– Buch: Spieleliteratur, Kult- und Lösungsbücher aus dem Videospieluniversum
– Biohazard Labor: Der Name sagt es, die Resident Evil-Rubrik
– Retro: Das Gespräch – Zwei Redakteure diskutieren über Spieleklassiker
Ich mag die Jungs von der Gamefront sehr gerne, immerhin bringen sie das zu Papier, was ich seit Jahren am Kiosk vermisse: Ein gut geschriebenes Freakheft mit vielen Reportagen, Interviews und Specials, die ich nicht im Internet finde. Jetzt hab ich sie noch ein kleines bisschen lieber. Mit dieser Ausgabe wurde eine Rubrik eingeführt, die sich mit Blogs aus der Spieleszene befasst. Ihnen hat mein Eintrag zur fun generation so gut gefallen, dass man ihm bzw. der Antwort dazu eine knappe 1/4 Seite einräumte. Fürs Abdrucken (und die kleine Werbung) möchte ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken. Freut mich, wenn’s euch gefallen hat.
Briefe zur Front:
Interessant zu erfahren wäre mal, wie viele der dort abgedruckten Leute eigentlich das Heft kennen. Kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass ein normaler Leser solche Mails verfassen würde, wo er doch weiß, was für bitterböse Antworten da kommen werden.
Schöne Spielerei am Rande: Die Statistik zu jeder Ausgabe, was ging zu Bruch, welchen Test wollte niemand machen etc.
Übrigens, nette Antwort auf die Forderung nach einer DVD. Fragt sich warum deutsche Hefte meinen, sie wäre das Wundermittel zum Auflagenwachstum, wo die großen der Welt ganz ohne sie auskommen.
Ticker:
Eine Vorschau aufs nächste Heft kann man sich sparen, da nicht mal Gott selbst den Termin kennt. Also wird die letzte Seite kurzerhand dafür genutzt die interessantesten Newsschnipsel von gamefront.de abzudrucken.
Fazit:
Gamefront ist nicht dazu gedacht ein monatliches Heft am Kiosk zu ersetzen. Wer jedoch außergewöhnliche Berichte mag, seine hart erarbeite Kohle gerne für Importe ausgibt und letztlich auch auf gnadenlose Verrisse steht sollte sich das Heft auf keinen Fall entgehen lassen. Wer einfach nur mal nach Abwechslung oder Lesespaß sucht, darf gerne zugreifen. Wirklich fehlen tut dem Heft nur ein Lektorat.
Daten und Fakten:
Start: 08. Oktober 1995
Erstausgabe: 10/1995
Verlag: Gamefront Verlag
Segment: Multiformat
Erscheinungsweise: sporadisch
Copy-Preis: EUR 4,90
Chefredakteur: Frank Michaelis
Druckauflage: Nicht bekannt