Archiv für September 2011

Oh Shit, Herr Schmidt!

Christian Schmidt, ehemals begnadeter Schreiber und Videokommentator von GameStar, fühlt sich nun zu höherem berufen und liest der Branche der Spieletester die Leviten.
Dabei kommt er zu der glorreichen Erkenntnis über Jahre das Falsche gelernt und gelehrt zu haben. Die Einsicht, möge man sie denn teilen, kommt ein wenig spät. Denn Schmidt war zuletzt als stellvertretender Chefredakteur der GameStar sicher nicht ganz unbeteiligt an deren inhaltlicher Ausrichtung. Vor allem fällt in seine Zeit der Heftrelaunch, bei dem sich noch stärker auf das Testen und Sezieren von großen Spieletiteln konzentriert wurde.

Normale Fachzeitschriften haben in den vergangenen fünf Jahren 20% an Auflage verloren, Spieleheften hingegen ist jeder zweiter Käufer abgesprungen. Schmidt bemängelt, dass Spiele zu wenig als Kulturgut und zu sehr als Produkt von den Redaktionen gesehen wird. Obwohl Computer- bzw. Videospiele in der Mitte der Gesellschaft angekommen seien und sich gehörig weiterentwickelt haben, befände sich die Art und Weise der Spieleberichterstattung immer noch auf dem Stand von vor 30 Jahren.

Schmidts Kolumne ist in meinen Augen derartig schräg, dass es schwerfällt sie zusammenhängend auseinanderzunehmen. Daher möchte ich mir drei Punkte mal herausgreifen.

Punkt 1: Zunächst einmal stellt er den ganz einfachen Fakt fest, dass die Spielepresse viel stärker an Auflage verloren hat, als der Rest der Fach bzw. Special-Interest-Zeitschriften. Daraus schlussfolgert er:

„Die Vermutung liegt nah, dass die althergebrachte Art der Berichterstattung für immer weniger Leser Relevanz besitzt.“

Mich interessiert durchaus, um sein Beispiel aufzugreifen, wie sich der Computergegner auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad verhält – ob er wirklich intelligenter handelt oder einfach nur mehr schummelt. Die Art und Weise der Berichterstattung hat für mich immer noch eine Relevanz und zwar genauso, wie sie ist. Was sich im Laufe der Jahre jedoch geändert hat, ist dass sich der Leser nicht mehr ganz so einfach für dumm verkaufen lässt. Zu Modemzeiten konnte man schlicht keine Demos mit mehreren Hundert MB Größe herunterladen. Da wurde eben die CD samt Heftbeilage erworben. Vor der Jahrtausendwende reichte es aus den Namen „PlayStation“ im Hefttitel zu tragen, um Auflagen zu erzielen, die heute der Marktführer nicht mal mehr Ansatzweise schafft. Inhaltliche Qualität, egal. Das geht heutzutage schlicht nicht mehr.

Wenn ich mir die derzeitig erhältliche Spielehefte anschaue, muss ich einfach gestehen, dass sie meinem Geschmack von ihrer Themenwahl zum Großteil nicht mehr abdecken. Für die jährlichen Updates brauche ich keine ausufernden Berichte, wenn mich die Serie interessiert, landet der neuste Teil auf meinem Tisch. Mich könnte auch keine 50%-Wertung für ein Final Fantasy abschrecken. Als Fan der Serie hole ich mir jeden Teil, da kann mich kein Bericht von abhalten. Ich lass mich jedoch gerne von mir noch unbekannten Titeln begeistern. Das geht jedoch nur, wenn ich von diesen erfahre. In dem man die Berichterstattung auf Blockbuster beschränkt und die kleineren Titel maximal online abhandelt, befriedigt man mein Infobedürfnis nicht. Mit der Art und Weise Spiele als Produkte und nicht als Kulturgut zu behandelt hat das herzlich wenig zu tun.

Punkt 2: Für ein Sims-, World of Warcraft- oder Runes of Magic-Magazin brauche ich eine Vielfalt von Spezialisten, die genau die Bedürfnisse der jeweiligen Zielgruppe kennt. Da reicht eine integrierte Fachredaktion mit sehr gutem Spieleallgemeinwissen nunmal nicht aus. Jedes Detail ist hier wichtig, denn die Zielgruppe der „Ein-Spiel-Magazine“ kennt „ihren“ Titel vermutlich genauer, als der hoch qualifizierte, jedoch nicht spezialisierte Fachredakteur. Deswegen ist Schmidts Gartenvergleich mit eigenen Experten für Hibiskus und Flieder anstelle eines Allgemeingärtners auch herzlich unangebracht. Vermutlich wäre ihm das auch aufgefallen, hätte er wesentlich anspruchsvollere Pflanzen genannt, die mehr als regelmäßig Wasser benötigen.
Um ebenfalls ein Beispiel zu bringen: Der Allgemeinmediziner schickt mich auch zum Facharzt, wenn ich ein spezifisches Problem hab, was sich nicht mit einem Rezept aus der Apotheke beheben lässt. Oder soll der Allgemeinmediziner sich neuerdings das Detailwissen eines Herzchirurgen aneignen? Folglich ist es mit Recherche und Spezialisten befragen, um sich selbst die Kenntnisse anzueignen, nicht getan.

Punkt 3: Das Niederknüppeln der deutschen Spielekritiker und hervorheben der englischsprachigen Reviewer kommt nur bedingt an. Man könnte anhand des Textes fast glauben, der drastische Auflagenschwund bei den Spieleheften wäre ein deutsches Problem. Dass es den britischen Spielemagazinen, die eher erlebnis- als faktenorientiert sind, keinen Deut besser geht, wird an dieser Stelle gerne ignoriert.

„Wer alte Konventionen in Frage stellt und journalistische Kreativität erneuert, der weckt Interesse über bewährte Zielgruppen hinaus. „11 Freunde“ kann man auch (und gerade!) dann mit Gewinn lesen, wenn man Fußball im Großen und Ganzen für Zeitverschwendung hält. Über Videospiele soll es ja ähnliche Ansichten geben.“

In Deutschland konnte sich nichts im Spielebreich etablieren, was versuchte die alten Konventionen in Frage zu stellen. Die Liste ist lang und beginnt nicht erst in den letzten zwei-drei Jahren… next level, fun.generation (5/99-10/99), [ple:], Edge, gamesTM. Und die GEE scheint den Kampf auch zu verlieren.

Das schreiben die anderen:
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